„Holzschlichten“; 2000; 7200 Rundhölzer (7200 woodsticks); je 7 x 200 cm (3" x 79" each); 402 x 804 x 360 cm (158" x 317" x 142"); Kunsthalle Wil, Schweiz

Kontext
Die Holzbeige

Der Kontext schafft das Kunstwerk. Der junge Nürnberger Künstler Gerhard Mayer (geb. 1962) macht in seinem Schweizer Ausstellungsdebut die Holzbeige zum Kunstwerk. Sein Ansatz ist konzeptuell: Die Decke der Wiler Kunsthalle – eine ehemalige Fabrikationshalle – wird von zwei Betonpfeilern getragen. Die beiden Träger in der Raummitte fungieren als Stützen einer aus insgesamt 7200 gehobelten Rundstäben von zwei Metern Länge gebildeten Megaplastik. Die hölzerne Wand wölbt sich auf der einen Seite vor und erfährt in der Mitte eine Eintiefung. Auf der Gegenseite verhält sich die konvex - konkave Struktur logischerweise umgekehrt. – Die Arbeit ist komplex. Die simple Beige hat es in sich: Je nach Standpunkt ist sie Teil der Architektur, oder sie erscheint als virtuelles Bild, das Bewegungsabläufe suggeriert. Kommt hinzu, dass das frisch verarbeitete Holz die Industriehalle olfaktorisch mit Natur erfüllt.
Mayer verwendet Holz wie Per Kirkeby Backstein für architektonische Plastik. Daneben zeigt er geometrische Zeichnungen, die mit der Kurvenschablone realisiert sind und imaginäre Räume entstehen lassen. Gerhard Mayer – der Name prägt sich ein.

Cfb. Neue Züricher Zeitung, 30. Juni 2000

Umkehrbilder

Die Bäume wachsen stets in Richtung Himmel. Nahe beisammen streben sie als Wald im gegenseitigen Wettstreit kerzengerade zum Licht. Mit solchem schlank gewachsenen Stammholz arbeite Gerhard Mayer bei seinen bis zu 31 m langen installativen Werken. Kennzeichnend für die Arbeiten von Mayer ist, dass sich diese in einer bestimmten Raumsituation eine Offenheit oder Beeinflussbarkeit bewahren und vor allem, dass sie den jeweiligen Umraum als Konstituierendes aufgreifen und in das endgültige Kunstwerk integrieren. Die Installationen gehen einerseits auf vorgefundene Raumverhältnisse oder Proportionen ein, andererseits verändern sie den ursprünglichen Raumeindruck zum ästhetisch und geistig aufgeladenen Raumerlebnis.

Natürlich ist auch bei der großen Installation in der Kunsthalle die vorhandene Architektur nur eine der verschiedenen Komponenten, die zu einer Idee wie „Holzschlichten“ führen. Der geographische Standort hat hier wesentlich zur Gestaltfindung beigetragen. Die Gedanken an die Schweiz sind bei Mayer stets verbunden mit bestimmten Erinnerungen – wie dem Bild der „Scheiterbeigen“ an den Hausmauern unter einem Vordach. Diese Vorstellung des fein säuberlich geschichteten Holzes mit den regelmäßigen Zwischenräumen ist in die Arbeit in Will eingeflossen.

Den großen, von den beiden Pfeilern der Halle begrenzten Raum füllt Mayer vom Boden bis zur Decke mit ca. 7200 Rundstäben von 7 cm Durchmesser und einer Länge von 2 m. Es entsteht ein riesiger Stapel präzise geschlichteten Holzes, stirnseitig mit regelmäßigen, Licht durchlassenden Zwischenräumen. Nur sind die Stangen nicht mit dem Lot zum geschlossenen Block gerichtet, sondern in ein bewegtes Relief gebracht. Durch die gezielte Verschiebung der Rundhölzer entsteht eine Struktur, die auf der Gegenseite genau umgekehrt verläuft. Was hier positiv heraussteht, ist dort negativ vertieft. So ergeben sich zwei ganz verschiedenen Bilder. Der Künstler selbst spricht von Pixelbildern, da sie sich mit einem enorm vergrößerten Monitor mit helleren und dunkleren Punkten, die sich zu einem Bild zusammenfügen, vergleichen lassen. Zudem verändert sich das Bild im Einklang mit dem sich wandelnden Blickwinkel des Betrachters. Grundsätzlich ließe sich durch dieses Verfahren jedes beliebige Motiv darstellen. Mit Modellen findet Mayer zu der für ihn wirkungsvollsten Gestaltung: Eine große Wölbung mit einer etwas kleineren Gegenwölbung. „Man kann das auch als Bewegung und Gegenbewegung verstehen, als würden beide Seiten des Raumes ihre Kräfte messen“, äußert sich der Künstler in seiner Projektbeschreibung dazu. Für die Gegenbewegung setzt er die Form seines Knies ein. Bei der extremen Vergrößerung im ausgeführten Werk in der Kunsthalle wird es nicht mehr erkennbar sein. Vielmehr soll durch die an Vertrautes erinnernde Form und ihre Nichtbestimmbarkeit eine intrigante Spannung erzeugt werden. Wobei die Bipolarität der Arbeit auf einer erweiterten Ebene zum Tragen kommt. Der Zwischenraum der beiden Pfeiler ist ausgefüllt mit dem geformten Block, der die Halle zum Umgang wandelt. Bei Tageslicht steht eine Längsseite der Konstruktion stets im Licht. Die andere im Schatten. Dies wirkt umso spannungsvoller, als sich die konkaven und konvexen Seiten ganz gegensätzlich darbieten. Mayer gelingt mit seinem Werk etwas vom Schwierigsten: nämlich mit einer einfachen, von allen nachvollziehbaren, aber genialen Idee – die Anhäufung eines traditionellen Materials – zum Diskurs von Bild und Abbild einen neuen Aspekt beizusteuern.

Das Projekt „Holzschlichten“ stand als Idee bereits im November 1999 fest, bevor der am 26. Dezember wütende Sturm „Lothar“ dem Werk durch seine Verwüstungen in den Wäldern eine unerhörte Aktualität gegeben hat. An manchen Waldrändern türmen sich die Baumstämme wie ein nochmals gigantisch vergrößerter Ausschnitt aus Mayers Stapel.

Der Künstler führt uns den realen Raum vor; er inszeniert ihn. Die Form der Rauminstallation verweist auf einen gleichberechtigten Inhalt, der nur gedanklich nachvollziehbar ist. Aus der Interpretation der unmittelbaren sinnlichen Anschauung, die dem Betrachter die durchaus kalkulierte Arbeit Mayers bietet, ergibt sich so eine intellektuelle Anschauung. Gerade wegen der konzentrierten und reduzierten Formensprache des Künstlers sind viele Deutungen möglich. Die visuelle Wirkung des Werkes beschränkt sich nicht auf den Netzhautbereich, sondern setzt sich der Vorstellungswelt, im Reich der gegenständlichen Ideen der Betrachter fort. Beeindruckend erwächst aus der klaren Formulierung eine sehr poetische Kraft.

Mit einer Auswahl aus seinem graphischen Schaffen ergänzt Mayer die vorliegende Installation in einer intensiven Übereinstimmung. Der Künstler zeichnet stets mit schwarzer Tusche und der Hilfe einer Kurvenschablone. Durch die spezielle Anordnung und Kulminierung von Ellipsen und deren Teilen – die Gerade ist inexistent – entstehen räumlich plastische Gebilde, die an Gegenständliches erinnern, sich einer genauen Determinierung jedoch widersetzen. Das bewegte Relief der großen Arbeit findet in den Zeichnungen seine Entsprechung in den dynamisierten und rhytmisierten Formen des illusionären Bildraums. Auch hier mit dem Ziel, den Raum für neue, andere Wahrnehmungen zu öffnen. Das Prinzip der Offenheit prägt beide Ausdrucksmedien. Mayer inszeniert den realen Raum, und wie bei jeder guten Inszenierung verweist die Form auf einen gleichberechtigten Inhalt, der nur gedanklich nachvollziehbar, erfassbar ist. Wer wie Mayer frei gestaltet, schöpft aus sich selbst – also werden auch die Betrachter diesen Inhalt in sich selbst finden.

Frank Nievergelt
X

„Holzschlichten“; 2000; 7200 Rundhölzer (7200 woodsticks); je 7 x 200 cm (3" x 79" each); 402 x 804 x 360 cm (158" x 317" x 142"); Kunsthalle Wil, Schweiz

Kontext
Die Holzbeige

Der Kontext schafft das Kunstwerk. Der junge Nürnberger Künstler Gerhard Mayer (geb. 1962) macht in seinem Schweizer Ausstellungsdebut die Holzbeige zum Kunstwerk. Sein Ansatz ist konzeptuell: Die Decke der Wiler Kunsthalle – eine ehemalige Fabrikationshalle – wird von zwei Betonpfeilern getragen. Die beiden Träger in der Raummitte fungieren als Stützen einer aus insgesamt 7200 gehobelten Rundstäben von zwei Metern Länge gebildeten Megaplastik. Die hölzerne Wand wölbt sich auf der einen Seite vor und erfährt in der Mitte eine Eintiefung. Auf der Gegenseite verhält sich die konvex - konkave Struktur logischerweise umgekehrt. – Die Arbeit ist komplex. Die simple Beige hat es in sich: Je nach Standpunkt ist sie Teil der Architektur, oder sie erscheint als virtuelles Bild, das Bewegungsabläufe suggeriert. Kommt hinzu, dass das frisch verarbeitete Holz die Industriehalle olfaktorisch mit Natur erfüllt.
Mayer verwendet Holz wie Per Kirkeby Backstein für architektonische Plastik. Daneben zeigt er geometrische Zeichnungen, die mit der Kurvenschablone realisiert sind und imaginäre Räume entstehen lassen. Gerhard Mayer – der Name prägt sich ein.

Cfb. Neue Züricher Zeitung, 30. Juni 2000

Umkehrbilder

Die Bäume wachsen stets in Richtung Himmel. Nahe beisammen streben sie als Wald im gegenseitigen Wettstreit kerzengerade zum Licht. Mit solchem schlank gewachsenen Stammholz arbeite Gerhard Mayer bei seinen bis zu 31 m langen installativen Werken. Kennzeichnend für die Arbeiten von Mayer ist, dass sich diese in einer bestimmten Raumsituation eine Offenheit oder Beeinflussbarkeit bewahren und vor allem, dass sie den jeweiligen Umraum als Konstituierendes aufgreifen und in das endgültige Kunstwerk integrieren. Die Installationen gehen einerseits auf vorgefundene Raumverhältnisse oder Proportionen ein, andererseits verändern sie den ursprünglichen Raumeindruck zum ästhetisch und geistig aufgeladenen Raumerlebnis.

Natürlich ist auch bei der großen Installation in der Kunsthalle die vorhandene Architektur nur eine der verschiedenen Komponenten, die zu einer Idee wie „Holzschlichten“ führen. Der geographische Standort hat hier wesentlich zur Gestaltfindung beigetragen. Die Gedanken an die Schweiz sind bei Mayer stets verbunden mit bestimmten Erinnerungen – wie dem Bild der „Scheiterbeigen“ an den Hausmauern unter einem Vordach. Diese Vorstellung des fein säuberlich geschichteten Holzes mit den regelmäßigen Zwischenräumen ist in die Arbeit in Will eingeflossen.

Den großen, von den beiden Pfeilern der Halle begrenzten Raum füllt Mayer vom Boden bis zur Decke mit ca. 7200 Rundstäben von 7 cm Durchmesser und einer Länge von 2 m. Es entsteht ein riesiger Stapel präzise geschlichteten Holzes, stirnseitig mit regelmäßigen, Licht durchlassenden Zwischenräumen. Nur sind die Stangen nicht mit dem Lot zum geschlossenen Block gerichtet, sondern in ein bewegtes Relief gebracht. Durch die gezielte Verschiebung der Rundhölzer entsteht eine Struktur, die auf der Gegenseite genau umgekehrt verläuft. Was hier positiv heraussteht, ist dort negativ vertieft. So ergeben sich zwei ganz verschiedenen Bilder. Der Künstler selbst spricht von Pixelbildern, da sie sich mit einem enorm vergrößerten Monitor mit helleren und dunkleren Punkten, die sich zu einem Bild zusammenfügen, vergleichen lassen. Zudem verändert sich das Bild im Einklang mit dem sich wandelnden Blickwinkel des Betrachters. Grundsätzlich ließe sich durch dieses Verfahren jedes beliebige Motiv darstellen. Mit Modellen findet Mayer zu der für ihn wirkungsvollsten Gestaltung: Eine große Wölbung mit einer etwas kleineren Gegenwölbung. „Man kann das auch als Bewegung und Gegenbewegung verstehen, als würden beide Seiten des Raumes ihre Kräfte messen“, äußert sich der Künstler in seiner Projektbeschreibung dazu. Für die Gegenbewegung setzt er die Form seines Knies ein. Bei der extremen Vergrößerung im ausgeführten Werk in der Kunsthalle wird es nicht mehr erkennbar sein. Vielmehr soll durch die an Vertrautes erinnernde Form und ihre Nichtbestimmbarkeit eine intrigante Spannung erzeugt werden. Wobei die Bipolarität der Arbeit auf einer erweiterten Ebene zum Tragen kommt. Der Zwischenraum der beiden Pfeiler ist ausgefüllt mit dem geformten Block, der die Halle zum Umgang wandelt. Bei Tageslicht steht eine Längsseite der Konstruktion stets im Licht. Die andere im Schatten. Dies wirkt umso spannungsvoller, als sich die konkaven und konvexen Seiten ganz gegensätzlich darbieten. Mayer gelingt mit seinem Werk etwas vom Schwierigsten: nämlich mit einer einfachen, von allen nachvollziehbaren, aber genialen Idee – die Anhäufung eines traditionellen Materials – zum Diskurs von Bild und Abbild einen neuen Aspekt beizusteuern.

Das Projekt „Holzschlichten“ stand als Idee bereits im November 1999 fest, bevor der am 26. Dezember wütende Sturm „Lothar“ dem Werk durch seine Verwüstungen in den Wäldern eine unerhörte Aktualität gegeben hat. An manchen Waldrändern türmen sich die Baumstämme wie ein nochmals gigantisch vergrößerter Ausschnitt aus Mayers Stapel.

Der Künstler führt uns den realen Raum vor; er inszeniert ihn. Die Form der Rauminstallation verweist auf einen gleichberechtigten Inhalt, der nur gedanklich nachvollziehbar ist. Aus der Interpretation der unmittelbaren sinnlichen Anschauung, die dem Betrachter die durchaus kalkulierte Arbeit Mayers bietet, ergibt sich so eine intellektuelle Anschauung. Gerade wegen der konzentrierten und reduzierten Formensprache des Künstlers sind viele Deutungen möglich. Die visuelle Wirkung des Werkes beschränkt sich nicht auf den Netzhautbereich, sondern setzt sich der Vorstellungswelt, im Reich der gegenständlichen Ideen der Betrachter fort. Beeindruckend erwächst aus der klaren Formulierung eine sehr poetische Kraft.

Mit einer Auswahl aus seinem graphischen Schaffen ergänzt Mayer die vorliegende Installation in einer intensiven Übereinstimmung. Der Künstler zeichnet stets mit schwarzer Tusche und der Hilfe einer Kurvenschablone. Durch die spezielle Anordnung und Kulminierung von Ellipsen und deren Teilen – die Gerade ist inexistent – entstehen räumlich plastische Gebilde, die an Gegenständliches erinnern, sich einer genauen Determinierung jedoch widersetzen. Das bewegte Relief der großen Arbeit findet in den Zeichnungen seine Entsprechung in den dynamisierten und rhytmisierten Formen des illusionären Bildraums. Auch hier mit dem Ziel, den Raum für neue, andere Wahrnehmungen zu öffnen. Das Prinzip der Offenheit prägt beide Ausdrucksmedien. Mayer inszeniert den realen Raum, und wie bei jeder guten Inszenierung verweist die Form auf einen gleichberechtigten Inhalt, der nur gedanklich nachvollziehbar, erfassbar ist. Wer wie Mayer frei gestaltet, schöpft aus sich selbst – also werden auch die Betrachter diesen Inhalt in sich selbst finden.

Frank Nievergelt
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